Klimaklagen – was jetzt noch fehlt.

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Das vermeintlich unbegrenzte Wirtschaftswachstum stößt an planetarische Grenzen und der drohende Klimakollaps stellt westliche Lebensweisen grundsätzlich in Frage. Um das ganze Ausmaß dieser Herausforderung zu erfassen, müssen sich Politiker*innen, Unternehmer*innen, Bürger*innen und auch Jurist*innen mit der noch nie dagewesenen Komplexität des Klimawandels auseinandersetzen. Wenn das Recht - insbesondere die Menschenrechte relevant bleiben wollen, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie die rechtliche Verantwortung für die Klimakrise und ihre Folgen zu fassen ist. 

(Verfassungs-)gerichte auf der ganzen Welt haben seit 2015 wiederholt entschieden, dass Staaten eine menschenrechtliche Verpflichtung haben, die negativen Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden oder zu minimieren. Das deutsche Bundesverfassungsgericht war im Frühjahr 2021 bereit, die traditionellen Konzepte des Verfassungsrechts zu erweitern und gab den Verfassungsrechten eine intertemporale Dimension: Die verfassungsmäßigen Rechte zukünftiger Generationen spielen bei der Umsetzung von Klimapolitik in der Gegenwart eine Rolle.  Das Urteil eröffnet somit eine neue Perspektive: Die Freiheit der Wenigen kann zugunsten der Vielen eingeschränkt werden, oder der persönliche Konsum im hier und jetzt kann zugunsten der Nutzung der Allmende in der Zukunft eingeschränkt werden. 

Allerdings ist das deutsche Urteil – wie die anderen weltweit – nur ein erster Schritt. Eine Reihe wichtiger Fragen bleibt unbeantwortet: Wie soll mit der weltweit ungleichen Verteilung der Klimaschäden und ihrer Folgen umgegangen werden? Wie kann die historische Verantwortung westlicher Industrieländer und transnationaler Konzerne bei der Entschädigung von Klimaschäden in Ländern berücksichtigt werden, die wenig bis nichts zum Klimawandel beigetragen haben? Wie kann national und global sichergestellt werden, dass der notwendige wirtschaftliche und soziale Wandel gerecht und nicht auf Kosten marginalisierter Gruppen gelingt?

„Wenn das Recht - insbesondere die Menschenrechte relevant bleiben wollen, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie die rechtliche Verantwortung für die Klimakrise und ihre Folgen zu fassen ist.“

Der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut, Philip Alston, wies im Juni 2019 darauf hin, dass innerhalb eines Staates die ärmsten Bevölkerungsgruppen und weltweit die ärmsten Staaten die schwersten Folgen des Klimawandels tragen werden. Es droht eine Klima-Apartheid, wie Alston es nennt: Die ohnehin Reichen werden sich mit technischem Fachwissen so gut es geht schützen und trotz dramatischer Umweltschäden ein einigermaßen komfortables Leben finanzieren können. 

„Wenn das Recht - insbesondere die Menschenrechte relevant bleiben wollen, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie die rechtliche Verantwortung für die Klimakrise und ihre Folgen zu fassen ist.“

Die Armen werden notleidend zurückbleiben. Obwohl sie am wenigsten zum Klimawandel beitragen, sind es die Ausgegrenzten und Armen, die sich am wenigsten vor den negativen Folgen der Klimakatastrophe schützen können. Deshalb werden immer mehr Stimmen laut, die fordern, dass Klimaschutzmaßnahmen unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Standards geplant und umgesetzt werden müssen. Andernfalls droht die Einrichtung von Naturschutzgebieten oder CO2-Ausgleichsflächen auf Kosten der indigenen und armen Landbevölkerung zu gehen. So werden zum Beispiel Aufforstungsprojekte in der Regel nicht auf Golfplätzen oder Luxuswohngebieten durchgeführt, sondern auf dem Land indigener und ländlicher Gemeinschaften. Windparks werden gebaut, ohne die Verfahrensrechte der indigenen Völker zu respektieren, geschweige denn sie in die Erzeugung grüner Energie einzubeziehen. 

Mit einem Ansatz, der sich ausschließlich auf Freiheitsrechte konzentriert, können diese Fragen einer gerechten Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels nicht angegangen werden. Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte bieten klare Maßstäbe für die Verteilung der Lasten des Klimawandels: Ein menschenrechtsbasierter Ansatz wird immer fragen, wer wie von bestimmten Klimaschutzmaßnahmen betroffen ist. Soziale und wirtschaftliche Rechte, wie das Recht auf Wasser, Land und angemessenen Wohnraum oder die Rechte indigener Gruppen, bieten klare Anhaltspunkte für staatliches Handeln und verpflichten Staaten, gefährdete Gruppen besser zu schützen, indem sie die Lasten gerecht verteilen. 

Es reicht jedoch nicht aus, sich auf die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu konzentrieren. Auch die Rechte der Natur müssen berücksichtigt werden. Um einen gerechten Übergang zu ermöglichen, dürfen die Menschenrechte nicht ausschließlich anthropozentrisch verstanden werden. Die Menschenrechte müssen sich mit der wissenschaftlich erwiesenen Tatsache auseinandersetzen, dass Mensch und Natur eng miteinander verwoben sind und dass der Erhalt der Menschenrechte in hohem Maße von einem intakten Klima, einer intakten Umwelt abhängt. Um die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu gewährleisten, bedarf es mehr als angemessener staatlichen Politiken.  

„Es reicht nicht aus, sich nur auf die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu konzentrieren. Auch die Rechte der Natur müssen berücksichtigt werden.“

Auch hier sind außereuropäische Gerichte Vorreiter: Ob in Indien, Neuseeland, Guatemala, Ecuador oder Kolumbien, immer mehr Gerichte erkennen an, dass auch die Natur eine Rechtspersönlichkeit hat. Insbesondere der Oberste Gerichtshof Kolumbiens betont die Interdependenz zwischen Mensch und Natur: Es sind die indigenen Gemeinschaften, die am Ufer des Atrato-Flusses leben, die die Rechte des Flusses geltend machen und bewahren. 

Die Rechte der Natur dürfen also gerade nicht gegen die Rechte der Menschen, die von ihr abhängen, durchgesetzt werden, wie es bei manchen Naturschutzprojekten den Anschein haben mag. Der UN-Menschenrechtsrat hat diese bemerkenswerte Entwicklung erkannt und im Oktober 2021 eine Resolution verabschiedet, die das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt anerkennt und die Auffassung vertritt, dass Menschenrechte und Umwelt zusammen gedacht werden müssen. Es wurde auch ein Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Klima ernannt. 

„Es reicht nicht aus, sich nur auf die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte zu konzentrieren. Auch die Rechte der Natur müssen berücksichtigt werden.“

Die Frage, wie mit der historischen und extraterritorialen Verantwortung westlicher Staaten und Unternehmen umzugehen ist, ist noch ungelöst. Der pazifische Inselstaat Vanuatu hat angekündigt, ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof (IGH) zu beantragen. Vanuatu will, dass der IGH die Frage klärt, ob und inwieweit Staaten, die historisch und aktuell stark zum Klimawandel beitragen, Staaten wie Vanuatu entschädigen müssen, die praktisch kein CO2 emittieren. 

Die rechtliche und politische Debatte über die Verantwortung von Staaten und transnationalen Unternehmen für Schäden außerhalb ihres Hoheitsgebiets wird also in Zukunft noch stärker diskutiert werden müssen. Dabei werden sicherlich auch die nationalen Gerichte eine Rolle spielen. Die Klage des peruanischen Landwirts gegen RWE ist vermutlich (dürfte) erst der Anfang.