Aktivistinnen bringen Unterstützung für Flüchtlingsfrauen in Deutschland ins Rollen

Für die österreichische Tante meiner Freundin sind Menschen, die auf der Flucht auf Bahngleisen gehen, ein vertrauter Anblick. „Wir sind damals auch auf den Gleisen gelaufen“, seufzt sie und erinnert sich an ihre Erlebnisse als Flüchtling im 2.Weltkrieg.

Seit damals hat Europa keine so großen Fluchtbewegungen mehr erlebt.2015 kamen über eine Million Menschen auf dem Seeweg an. Nach Angaben des Büros des UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) sind zum jetzigen Zeitpunkt 60% der Ankommenden Frauen und Mädchen, verglichen mit etwa 30 % im Juni letzten Jahres. Laut Amnesty International erleben diese Frauen Gewalt und sexuelle Übergriffe auf jedem Abschnitt ihrer Reise, am härtesten sind Mütter mit Kindern betroffen. Die Gesellschaften, in denen sie ankommen, sind jedoch nicht gut darauf vorbereitet, ihren speziellen Bedürfnissen gerecht zu werden. „Wir wissen aus Erfahrung, dass es keine wirkliche Sicherheit für Frauen gibt, die Asyl suchen. Wann immer sie angegriffen werden, entweder körperlich oder sexuell, weiß keiner, was zu tun it. Es gibt keine klare Policy“, sagt Elizabeth Ngari, die Women in Exile mitgegründet hat, eine Selbstorganisation für die Rechte von Flüchtlingsfrauen in Brandenburg.

Am letzten Februarwochenende brachte die International Conference of Refugees and Migrants mehr als 1500 Aktivistinnen aus verschiedenen deutschen Flüchtlingsunterkünften und einigen anderen europäischen Ländern in Hamburg zusammen  Als einen Teil des Konzepts gab es einen „Women*Space“ – einen eigenen schönen Raum nur für Frauen und Trans*. Die Podien der Konferenz allerdings waren zu 95 % mit Männern besetzt. Während einer der Sessions unterbrach eine Gruppe von etwa 150 Frauen und Trans*, darunter auch Aktivistinnen von Women in Exile, die Diskussion über Selbstorganisation und Solidarität mit dem Ruf: „Women’s space is everywhere!“ Sie nahmen sich den Raum, um ihre volle Teilhabe an der Flüchtlingsbewegung und die Sichtbarkeit ihrer Perspektiven und besonderen Herausforderungen einzufordern.


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A refugee mother and her child at a train station in Munich, Germany.


Ngari selbst kam vor vielen Jahren selbst als Asylsuchende nach Deutschland. Sie investiert ihre Energie in das Selbst-Empowerment und die Selbstorganisation von Flüchtlingsfrauen. Das Motto von Women in Exile ist „Flüchtlingsfrauen werden laut!“. Dies ist eine der wenigen Gruppen, in denen Flüchtlingsfrauen ihre Peers dazu ermutigen, Forderungen für bessere Lebensumstände öffentlich zu vertreten. Ngari berichtet von überfüllten Flüchtlingsunterkünften, Toiletten und Duschen, die von allen geteilt werden müssen, und Zimmern, die nicht abschließbar sind – Umstände, die eine unsichere Situation für Frauen und Mädchen erzeugen, die sexuellen Übergriffen sowohl von Wachen als auch von anderen Geflüchteten ausgesetzt sind. Das Problem ist so gravierend, dass manche Frauen aufhören zu essen und zu trinken, um den Gang zur Toilette zu vermeiden.

Natürlich hat Deutschland wie viele andere europäische Staaten auch ein Hilfesystem für Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind: Frauennotrufe in verschiedenen Sprachen, kostenfreie Frauenhäuser. Asylsuchende haben genau wie Deutsche ein Anrecht darauf, sie zu nutzen, das Problem ist nur, dass sie nicht davon wissen. In den Flüchtlingsunterkünften bekommen sie diese Informationen nicht. Wenn eine Frau Anzeige erstatten will, kann es sein, dass sie einem Polizisten gegenübersteht, mit dem sie sich nicht verständigen kann, und Übersetzung gibt es nicht genug. Neben der Sprachbarriere gibt es auch noch andere Blockaden, die Frauen davon abhalten sich zur Wehr zu setzen, zum Beispiel kulturelle Haltungen oder Traumatisierungen.

In Hamburg fand eine Gruppe von feministischen Organisationen, dass der Staat einfach zu lange braucht, um auf die besonderen Herausforderungen von geflüchteten Frauen und Mädchen zu reagieren, und brachte selbst Unterstützung ins Rollen. Mit Anschubfinanzierung von filia.die frauenstiftung kauften sie einen Multivan und nannten ihn „EmpowerVan for Girls and Women“. Ab Mai 2016 wird der EmpowerVan direkt zu den Flüchtlingsunterkünften fahren, um Frauen dort aufzusuchen, wo sie sind. Der EmpowerVan informiert Flüchtlingsfrauen über ihre Rechte und unterstützt sie dabei , Lösungen für ihre spezifischen Themen zu finden – wo zum Beispiel eine gynäkologische Untersuchung zu kriegen ist, wie man Unterwäsche und Büstenhalter erhält ohne mit dem Mann an der Wäscheausgabe sprechen zu müssen, oder wie man im Fall von Häuslicher Gewalt eine sichere Unterkunft und ein eigenes Asylverfahren bekommen kann.

Staatliches Handeln auf allen Ebenen muss gender-sensitiver werden. 

Viele der Aktivistinnen und Sozialarbeiterinnen, die sich in diesem Projekt engagieren, haben selbst einen Migrationshintergrund. Sie wissen aus eigener Erfahrung um die Menschenrechtsverletzungen, die an der Schnittstelle von Sexismus und Rassismus in Deutschland an der Tagesordnung sind. Sie betrachten den  EmpowerVan als ihren Beitrag zu einer Willkommenskultur in Deutschland. Zugleich ist ihnen sehr bewusst, dass selbsternannte Verbündete bei ihrem Engagement für Flüchtlinge selbst in der Gefahr sind, rassistische und kolonialistische Muster von Über- und Unterlegenheit zu reproduzieren. Die Aktivistinnen bringen ihre feministischen Werte in die Arbeit ein und haben das Ziel, Machtverhältnisse zu verschieben und mit Respekt und Offenheit gleichwertige Verbindungen zu schaffen. Ein Schlüssel dazu ist die Stärkung der Selbstorganisation der Flüchtlingsfrauen – deshalb hat der EmpowerVan ein Zelt dabei, das einen Raum für Begegnung unter Frauen schafft.

In Deutschland ist der politische Wille sichtbar – die Hamburger Behörde hat eine zweijährige Finanzierung für die operativen Kosten des EmpowerVans plus einer Sozialarbeiterin zugesagt. Familienministerin Manuela Schwesig sagte, dass Deutschland bessere Regelungen dafür braucht, separate und sichere Räume für Flüchtlingsfrauen zu schaffen, Riegel an Duschen und Toiletten eingeschlossen.

Staatliches Handeln auf allen Ebenen muss gender-sensitiver werden. Diejenigen Organisationen, die jahrzehntelange Erfahrung und Expertise in der Arbeit zugunsten von Mädchen und Frauen haben, brauchen gezielte Unterstützung. Frauenorganisationen und Frauenstiftungen mit ihrer Kompetenz im Umgang mit Fragen sexualisierter Gewalt sind die natürlichen Partner für staatliche Einrichtungen, die geschlechtergerechte Standards etablieren wollen.

Es ist schon einiges in Bewegung, aber immer noch bleibt viel zu tun, die Regelwerke, Programme, Dienstleistungen und das ausgebildete Personal zu schaffen, die sicherstellen, dass die Menschenrechte von Flüchtlingsfrauen auf jedem Abschnitt ihrer Reise geschützt und durchgesetzt werden. Frauen und Mädchen gehen auf den Gleisen – tragen wir dazu bei, dass sie in ein Leben in Sicherheit und Würde führen.